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Teil 3 – Alles wird gut

Schon gewusst? Wenn wir uns abends ins Bett legen sind wir bis zu 2cm kleiner als wir am Morgen des gleichen Tages noch waren. Die Größe des menschlichen Körpers kann innerhalb eines Tages bis zu 20 Millimeter schwanken. In dem Personalausweis meines Großvaters stand noch “Größe: Mittelgroß” – in meinem heutigen Personalausweis steht eine absolute Angabe in cm.

Wir leben mehr den je, in einer mathematisierten Welt. Haben sich vor ein paar Jahrhunderten Kaufleute vielleicht noch mit dem Worten verabredet: “Im Frühjahr nach der Schneeschmelze, wenn der Bergpass wieder passierbar ist, werde ich Sie aufsuchen…” so legen wir heute Tag, Stunde und Minute fest zu dem wir unser Meeting abhalten. Vor 2-3 Generationen hätte es vielleicht noch gereicht zu sagen “Ich werde Sie Donnerstag am Nachmittag aufsuchen.”

Wer soundso viele Tage gelebt hat, gilt als volljährig – ein paar tausend Tage später als “alt” und geht in Rente. Die absoluten Zahlen haben die Attribute “erwachsen” und “alt” ersetzt. Wir zählen die Sekunden bis zum neuen Jahr laut mit, obwohl es nur ein gesellschaftlicher Konsens ist, dass das neue Jahr am 1. Januar beginnt und nicht beispielsweise zur Sonnenwende – von politisch begründeten Zeitzonen und astronomischer Lokalzeit ganz abgesehen. Und wenn man auf einer Party zur späten Nachtzeit sagt “Morgen werde ich lange ausschlafen”, dann findet sich immer ein Witzbold der auf die Uhr sieht und hinzufügt “Du meinst wohl heute.”

Ich plädiere für eine Ent-mathematisierung der Dinge – zum einen weil ich schlecht im Kopfrechnen bin, zum anderen weil für mich “heute” ist bis ich schlafen gehe und “morgen” anfängt nachdem ich aufgestanden bin und Kaffee getrunken habe. Vor allem aber, weil uns der durchgezählte und durchnummerierte Alltag zu oft den Blick auf das Wesentliche versperrt. In der Schule haben wir gelernt, dass 1+1 eben genau 2 ist und nicht ungefähr zwei. Wir können heute die Zahl Pi bis zur soundso-tausendesten Nachkommazahl berechnen – aber um zu erkennen das etwas rund ist, benötigen wir das meist nicht. Statt an die absolute Richtigkeit von Zahlen zu glauben, kann es von Nutzen sein sich mit Ungenauigkeit abzufinden oder gar anfreundenden. Mit dem gesunden Augenmaß: Mein Großvater war nun mal “mittelgroß”…mehr weiss ich nicht.

Nachdem ich in den ersten zwei Teilen dieses Artikel gezeigt habe, dass das Zahlenmaterial, welches wir in unseren Web-Statistiken betrachten durchweg sehr sehr ungenau, wenn nicht gar völlig falsch ist, will ich in diesem Teil des Artikel zeigen, wie wir aus falschen und ungenauen Zahlen dennoch was herauslesen können.

Grobe Fehler korrigieren

Wie ich im letzten Teil des Artikel schrieb, hat Google Analytics ein von Urchin geerbtes Problem (wieder besseren Wissens) bis heute nicht behoben: Es wertet Bounces als Besucher. Zur Erinnerung: Der gängige Standard besagt das ein Besucher jemand ist, der nicht nur unser Schaufenster von außen betrachtet, sondern in unseren Laden eintritt und mit uns interagiert. Im Web bedeutet das jemanden, der nicht nur eine Seite unseres Web-Angebots betrachtet sonder der auf irgendwas klickt und mindestens zwei Seiten abruft. Jeder der nach der ersten Seite, wegsurft ist ein Bounce.

Wenn ich über Statistiken mit Googly Analytics diskutieren muss, versuche ich den Begriff des “tatsächlichen Besuchers” einzuführen, der sich aus der Anzahl der Besucher abzüglich der Bounce-Rate errechnen lässt. Zeigt uns Google 1000 Besucher und eine Bounce-Rate von 40%, so bedeutet dies, dass 400 Besucher die Website verlassen haben ohne mit unseren Inhalten zu interagieren. Es sind Bouncer. Die übrigen 600 sind echte Besucher, die sich mit unserem Informationsangebot beschäftigt haben. In einer Formel läßt sich das so ausdrücken:

TB = BG - (BG * BR)

TB => Tatsächliche Besucher
BG => Besucher laut Google
BR => Bounce Rate in %

Die so ermittelten tatsächlichen Besucher (TB) können wir nun verwenden um eine Reihe von Korrekturen vorzunehmen. Als Beispiel soll hier mal die durchschnittliche Besuchsdauer herhalten: Google berechnet diese in dem es die Dauer aller Besuche zusammen rechnet und dann durch die Zahl aller Besucher (inklusive Bouncer) teilt. Wenn wir also die von Google berechnete, durchschnittliche Besuchszeit mit der von Google (falsch) berechneten Besucherzahl multiplizieren erhalten wir die Summe aller Besuchszeiten. Teilen wir diese durch die tatsächlichen Besucher, erhalten wir eine wenigstens formal korrekte, durchschnittliche Verweildauer auf unserem Webangebot:

tBZ = (DG * BG) / TB

tBZ => tatsächliche Besuchszeit
DG  => Dauer eines Besuchs wie von Google berechnet
BG  => Besucher laut Google
TB  => tatsächliche Besucher (siehe oben)

In der Praxis führt das häufig zu einem völlig anderen Bild – ich hab hier mal echte Zahlen von meiner Firmenwebsite genommen:

Referrer Besucher

(Google)

Bounce Rate tatsäch.

Besucher

Zeit

(Google)

tatsäch.

Zeit

facebook.com 213 39,44% 129 2:10 3:34
twitter.com 78 37,18% 29 1:54 3:01
webwork-magazin.net 93 37,63% 35 2:38 4:13
Kampagne A 326 27,22% 237 2:45 3:36
Kampagne B 47 85,11% 7 1:36 10:47

Die Besucher von facebook, twitter und dem webwork-magazin haben Bounce-Raten, die in ähnlichen Größenordnungen liegen. Es verundert also nicht all zu sehr, das auch die korrigierten Zahlen ein ähnlichen Bild liefern. Spannend wird es hingegen bei den Kampagnen A und B. Beim Blick auf die Zahlen von Google glaubt man Kampagne A sei viel erfolgreicher: Die Bounce Rate ist viel geringer und die Verweildauer deutlich höher. Schaut man auf die korrigierten Zahlen, so ergibt sich aber etwas völlig anderes: Die interessierten Besucher sind zwar in ihrer Gesamtzahl deutlich weniger, aber diejenigen die eintreten verbleiben nahezu 11 Minuten auf unserem Webangebot!

Verlassen wir uns auf die Verhältnisse

Rechnet man andere Kennzahlen wie Anzahl der Klicks pro Besuch oder Konversionsrate auf die gleiche Weise um sind ebenfalls eine Menge Überraschungen zu erwarten. Besonders beim ewig heißen Thema “Konversionsrate” kann der Unterschied bares Geld bedeuten. Das will ich an folgendem konstruierten Fall verdeutlichen:

Nehmen wir an, wir haben einen Online-Shop der monatlich 30.000 Besuche erhält. Die Hälfte kommt über SEO optimierte Google Suchergebnisse, die andere Hälfte über Bannerwerbung (CPC). Nehmen wir weiter an, die Konversionsrate liegt bei 1,2% und der durchschnittliche Kaufpreis liegt bei 80 EUR. Es ergibt sich folgendes Bild:

Quelle Besucher Kv Rate Verkäufe Umsatz
SEO 15.000 1,20% 180 14.400,- €
Banner 15.000 1,20% 180 14.400,- €

Bis hierher haben wir uns nur um Besucher gekümmert – doch nun geht es um echtes Geld. Sollte man in SEO investieren oder lieber den SEO Berater feuern und mehr Banner Werbung schalten? Die Besucherzahlen mögen sehr ungenau sein, die Verweildauer auf der Website in Wirklichkeit ganz anders aussehen – die Probleme sind alle genannt. Wir müssen nun eine Entscheidung treffen auf Grundlange von Zahlen die mehr als nur ungenau sind und auf deren absolute Richtigkeit wir uns nicht verlassen können.

Wir können uns aber auf die Verhältnisse verlassen. Mein Großvater war im Verhältnis zu anderen “mittelgroß” – ich muss keine exakten Zentimeterangaben haben, um mir das vorstellen zu können. Ich brauche Pi nicht auf 500 Stellen hinter dem Komma zu berechnen um zu wissen, dass meine Kaffeetasse rund ist.

Schauen wir uns die obigen Zahlen mal unter Betrachtung der Bounce Werte an und nehmen an wir haben bei den Besuchern die über SEO kommen eine Bounce Rate von 47% und bei denen die über Bannerwerbung kommen 32% – unsere Tabelle sieht also so aus:

Quelle Besucher Bounces tat. Besucher KKR
SEO 15.000 47% 7950 2,26%
Banner 15.000 32% 10.200 1,76%

Was ich in der oberen Tabelle als “KKR” abgekürzt haben, will ich mal “korrigierte Konversionrate” nennen. Es handelt sich um die Konversionsrate, die ich nach dem gleichen Muster berichtigt habe, wie weiter oben die Besucherzeiten.

Wenn’s ums Geld geht

Was zunächst aussah, wie eine Patt-Situation, erscheint schon völlig anders, wenn man sich die nun korrigierte Konversionsrate ansieht. Es wird klar, das die Besucher, die über eigenständige Suche und SEO zu uns kommen, mehr kaufen als diejenigen die nur auf Banner klicken. Wie wichtig die Bounce sein kann, wird deutlich wenn wir uns die Bouncer als entgangenen Gewinn vorstellen. Jeder Bouncer ist ein potentieller Kunde der nichts kauft. Bei den SEO Besuchern verlieren wir 7050 Besucher, bei den Banner Besuchern verlieren wir 4800 Kunden. Nehmen wir einmal an, wir könnten das ändern und die nicht verloren Besucher würden gemäß unserer KKR bei uns einkaufen. Es ergäbe sich folgendes Bild:

Quelle Besucher Bounces verlorene Besucher KKR verlorener Umsatz
SEO 15.000 47% 7050 2,26% 12.769,81€
Banner 15.000 32% 4800 1,76% 6.776,47€

Was mir diesen Zahlen nun machen ist eine Management-Entscheidung, aber sie fällt deutlich leichter, als am Anfang des Beispiels. In diesem Fall wäre mein Rat, einen guten Designer zu beschäftigen um die Bounce Rate bei den SEO Besuchern zu senken, denn dort sehe ich das größte Potential – und außerdem bin ich Designer. Wäre ich SEO Berater würde ich einen anderen Schluss aus den Zahlen ziehen. ;)

Egal welche Maßnahmen man nun am Schluß ergreift – wichtig ist das hier alle – Kunde, SEO Berater, Designer und Werbeplaner – Klarheit über die (miese) Qualität der Zahlen haben, aber dennoch den Blick für die Verhältnisse und das gesunde Augenmaß entwickeln.

Ich hoffe ich konnte mit meinem dreiteilligen Artikel hierzu was beitragen und Ihr hattet Spaß beim Lesen. Über das nächtliche Artikel schreiben ist nun in Uruguay die Sonne über dem Rio de la Plata aufgegangen. Zeit ein wenig zu schlafen statt stur zu behaupten es sei noch gestern. ;)

Euer

Sven

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